Umweltfreundliche Beschaffung in der Golfregion – das wäre ein riesiger Hebel für mehr Nachhaltigkeit. MBA-Alumna Nina Riehle-Hussain hat die Einführung einer umweltfreundlichen öffentlichen Beschaffung im Emirat Ras al Khaimah zum Thema Ihrer Masterarbeit gemacht und wurde für ihre Arbeit mit dem diesjährigen Master-Thesis-Award des CSM-Alumni e.V. ausgezeichnet. Wie sich im Innern des Emirates das Thema nachhaltige Beschaffung etabliert und welche Schwierigkeiten und Chancen es gibt, berichtet Nina Riehle-Hussain im Interview.
Nehmen Sie uns mit in die fachliche Welt Ihrer Masterarbeit: Was haben Sie untersucht und wie sind Sie auf Ihre Themenidee gekommen?
In meiner Masterarbeit ging es um die öffentliche Beschaffung und zwar um die Einführung eines umweltfreundlichen öffentlichen Beschaffungswesens in der Golfregion. Hierzu habe ich vor allem die Hebel und Barrieren analysiert, die eine Einführung behindern oder begünstigen. Diese Analyse habe ich am Beispiel der Regierung von Ras al Khaimah durchgeführt. Ras al Khaimah ist ein Emirat der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), wie ein Bundesland sozusagen. Die VAE haben sieben Emirate und Ras al Khaimah ist eher das industrielle Emirat – ein bisschen wie bei uns das Ruhrgebiet.
Und wie sind Sie auf die Idee gekommen genau das zu machen?
Die öffentliche Beschaffung der VAE macht ca. zwölf Prozent vom Bruttoinlandsprodukt aus.
Ich habe in den vergangenen Jahren als Sustainability Specialist in der Inhouse-Strategieberatung der Regierung von Ras al Khaimah gearbeitet. In dieser Strategieberatung haben wir im Team die gesamte Nachhaltigkeitsstrategie für das Emirat entwickelt. In diesem Rahmen haben wir auch geschaut, was denn das öffentliche Beschaffungswesen macht. Wir haben festgestellt, dass es sehr stark zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt: Die öffentliche Beschaffung der VAE macht ca. zwölf Prozent vom Bruttoinlandsprodukt aus und dann kommen noch alle staatlichen und halbstaatlichen Unternehmen hinzu. Das heißt, das macht wahnsinnig viel aus und ist natürlich ein riesengroßer Hebel in der Golfregion, um nachhaltiger zu werden. Im Rahmen dieser Entwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie für Ras al Khaimah war ich also schon beruflich mit dem Thema beschäftigt und hab das dann mit der Masterarbeit verbunden. Insgesamt habe ich fünf Jahre dort gelebt, zweieinhalb Jahre in Dubai und zweieinhalb Jahre in Ras al Khaimah.
Sie haben die Hebel angesprochen: Was war denn der größte erkannte Hebel, der in der Golfregion zu mehr nachhaltiger öffentlicher Beschaffung führt?
Ganz wichtig – was auch speziell für die Golfregion ist – ist, dass der öffentliche Sektor dort noch sehr stark hierarchisch organisiert ist. Ein großer Hebel ist entsprechend die Unterstützung der Führungsebene, weil sich die unteren Ebenen ohne entsprechende Anweisungen vom Management nicht trauen, Veränderungen zu implementieren. Ein nachhaltiges Beschaffungswesen ist immer ein Veränderungsprozess, d.h. das war entscheidend, dass es von der Führungsebene befürwortet und vorangetrieben wird.
Einkaufsentscheidungen wurden primär nach dem Investitions-/ oder Einkaufspreis getroffen – ob es große Infrastrukturprojekte waren oder der Einkauf von alltäglichem Büromaterial.
Ein weiterer Punkt ist, dass man nicht nur die Investitionskosten, also die Einkaufskosten, betrachtet, sondern den gesamten Lebenszyklus. Wenn man die Lebenszykluskosten betrachtet, wird darstellbar, dass es teilweise langfristige Kostenersparnisse gibt. Viele Dinge sind in der Anschaffung teurer, aber energieeffizienter, d.h. über die nächsten zehn, zwanzig Jahre betrachtet, spart man viel. Das wurde in den Golfstaaten bis dato noch gar nicht so gemacht, Einkaufsentscheidungen wurden primär nach dem Investitions-/ oder Einkaufspreis getroffen – ob es große Infrastrukturprojekte waren oder der Einkauf von alltäglichem Büromaterial. Diese langfristige Betrachtung hat gefehlt. Dieser Shift von Einkaufspreis zu Lebenszykluskosten war hilfreich, um darstellen zu können, dass es langfristig auch finanziell Sinn macht.
Ein weiterer Hebel war eine klare Priorisierung. Die öffentliche Hand, das sind ja nicht nur Regierungsbehörden, sondern auch eine Vielzahl an staatlichen und halbstaatlichen Unternehmen – und es wird alles Mögliche eingekauft, von Infrastrukturprojekten bis zu Dienstleistungen und Produkten. Eine Schwierigkeit war es herauszufinden „Wo fängt man denn da überhaupt an?“. Man kann Nachhaltigkeitskriterien nicht direkt für diese ganze Breite an verschiedenen Einkaufsvolumen und Einkaufsgegenständen, -produkten, -dienstleistungen entwickeln. Ein Hebel war entsprechend eine Priorisierung durchzuführen. Was wird regierungsübergreifend im großen Volumen eingekauft? Und wo liegt tendenziell ein großer Impact? Da fängt man an und weitet das dann schrittweise eben aus.
Sie haben angesprochen, dass es „von oben“ kommen muss. Wie groß war denn das Interesse „von oben“ an Nachhaltigkeitsthemen?
Das kann ich nur für Ras al Khaimah beantworten und da ist es sehr groß. Das nachhaltige Beschaffungswesen wurde mit den Leitern*innen der wichtigsten Regierungsbehörden sowie mit übergreifenden Regierungsvertreter*innen abgestimmt und da war sehr viel Unterstützung da.
Die Motivation ist allerdings in erster Linie auf Umweltaspekte bezogen. Das Beschaffungswesen wurde auf ein umweltfreundliches Beschaffungswesen umgestellt, die soziale Thematik wurde gar nicht betrachtet – umweltbezogen und in dem Rahmen, in dem es finanziell vertretbar ist.
Ökologisch ja und sozial nein, warum unterscheidet sich das so stark?
Weil man Umweltauswirkungen bemerkt, liegt der Fokus stark auf den Umweltaspekten.
Die VAE haben sich Ziele gesetzt, zum Beispiel Net Zero Ziel bis 2050. Und hatten vorher auch schon Ziele kommuniziert, die CO2-Emissionen zu reduzieren und Umweltauswirkungen zu reduzieren. Es gibt viele Bereiche, in denen Auswirkungen spürbar sind, wie zum Beispiel der Grundwasserspiegel, der sinkt oder das Grundwasser, das verschmutzt ist. Weil man Umweltauswirkungen bemerkt, liegt der Fokus stark auf den Umweltaspekten. Auf der anderen Seite erhofft man sich, dass sich die VAE weg vom Öl und Gas entwickeln und es gelingt, die Wirtschaft zu diversifizieren und auch nachhaltige Angebote zu schaffen. Da verspricht man sich auch einen Wettbewerbsvorteil.
Wie sieht es auf der anderen Seite aus: Was haben Sie als größte Hindernisse herausgearbeitet?
Die Kosten. Es ist schon sehr kostengetrieben in den Golfstaaten und die größten Hindernisse waren finanzieller Natur, d.h. es gibt höhere Anschaffungspreise für umweltfreundlichere Produkte und Dienstleistungen. Das ist gerade in dem Hinblick eine Herausforderung, dass derzeit in den Golfstaaten eine Haushaltskonsolidierung vorgenommen wird. Dann muss man über die Lebenszykluskosten schauen, inwiefern es trotz höherer Anschaffungspreise „down the line“ Einsparnisse gibt.
Ein weiteres Hindernis, das wurde zumindest von den Regierungsvertreter*innen stark wahrgenommen, ist fehlendes Fachwissen in den Einkaufsabteilungen. Der Markt hat eher das Fehlen von entsprechenden Rechtsvorschriften und mögliche Kostenerhöhungen auf der Lieferantenseite als Hindernisse wahrgenommen. Und zwar als Hindernis für Unternehmen, dass es sich ohne Rechtssicherheit nicht lohnt, in umweltfreundliche Produkte zu investieren – teilweise müssen ja die Produktionen umgestellt werden.
Erwarten Sie, dass mehr nachhaltige Beschaffung auch Auswirkungen auf die Einstellung der Bevölkerung, Stichwort Vorbildfunktion der Regierung, zur Nachhaltigkeit hat?
Die größte Auswirkung hat tatsächlich das große Einkaufvolumen.
Das ist eine schwierige Frage. Es gibt die Emiratis, die inländischen Staatsbürger, die machen in den Emiraten aber nur 15 Prozent der Gesamtbevölkerung aus – alle anderen sind „Expats“ und Arbeitsmigrant*innen, die nur vorübergehend dort leben und arbeiten. Die Emiratis achten stark darauf, was die eigene Regierung macht, da gibt es sicher diese Vorbildfunktion. Aber bei allen anderen trifft das eher weniger zu und die machen 85 Prozent aus. Die größte Auswirkung hat tatsächlich das große Einkaufvolumen, das dann auch Auswirkungen auf die ansässigen Unternehmen hat, die Anreize haben nachhaltiger zu produzieren und das Angebot umzustellen. Ich denke, es ist eher ein „trickle-down“-Effekt durch das riesige Einkaufsvolumen der öffentlichen Hand.
Denken Sie, dass man Ihre Erkenntnisse auf andere Regionen der Welt übertragen kann?
Bei den anderen Golfstaaten definitiv, da sind sehr viele Ähnlichkeiten da. Was sicher auch auf andere Regionen der Welt übertragbar ist, ist, dass fehlendes Fachwissen und diese kostengetriebene Denkweise eine Rolle spielen. Im Rahmen der Masterarbeit habe ich natürlich auch recherchiert, was die Hemmnisse und Chancen nachhaltiger Beschaffung in Europa, Nordamerika, Australien, Asien usw. sind und da waren diese zwei Punkte – fehlendes Fachwissen und Kostengetriebenheit – immer dabei, das ist wirklich weltweit relevant.
Sie geben in Ihrer Arbeit einen sehr tiefen Einblick in Strukturen und Prozesse der öffentlichen Beschaffung in der Golfregion: Wie haben Sie das Thema methodisch erarbeitet?
Am Anfang stand Recherche: Was sind die lessons learned im Bereich nachhaltige Beschaffung in Europa, Asien, Nordamerika? Was wurde dort als Hindernis und Chance identifiziert? Und gleichzeitig habe ich für Ras al Khaimah geschaut, wie das öffentliche Beschaffungswesen dort strukturiert ist. Das heißt: Wie viele halbstaatliche und staatliche Unternehmen und Regierungsbehörden gibt es? Wer kauft für die ein? Wie sind die Prozesse? Und inwiefern wird denn Nachhaltigkeit dort schon berücksichtigt? Im zweiten Schritt habe ich strukturierte Interviews durchgeführt, mit Regierungsvertretern*innen von Ras al Khaimah, mit zwischenstaatlichen Organisationen, mit staatlichen und halbstaatlichen Unternehmen aber auch mit Forschungseinrichtungen und Universitäten. In diesen Interviews ging es darum, abzugleichen, inwiefern die vorher identifizierten Hindernisse und Chancen auch für die Golfstaaten und im Speziellen für Ras al Khaimah relevant sind.
Wie wichtig war Ihr kulturelles Verständnis für die lokalen Strukturen und Beziehungen für die Bearbeitung des Themas?
Es war vor allem wichtig für die Kontakte, um Gesprächpartner*innen für die ganzen Interviews zu gewinnen. Dadurch, dass ich in der Inhouse-Beratung der Regierung gearbeitet habe und mit vielen Organisationen vorher schon zusammengearbeitet habe, war das leichter. Zum anderen hatte ich natürlich auch ein Verständnis dafür, wie die Regierung aufgebaut ist und wie sie tickt. Wie sind die Prozesse? Wenn man nicht dort arbeitet, hat man diese Insights natürlich nicht.
Am Ende der Arbeit berichten Sie, dass einige Ihrer Resultate in der Praxis bereits eingeführt/umgesetzt werden – was hat sich verändert und was erwarten Sie, wie diese Entwicklungen weitergehen?
Zum einen wurde priorisiert, bei welchen Einkaufstätigkeiten Nachhaltigkeits-/ oder Umweltkriterien entwickelt werden sollen. Wir haben dann einen Maßnahmenkatalog entwickelt, bei verschiedenen Einkaufstätigkeiten gibt es klare Maßnahmen und spezifischen Anforderungen. Und bei den Maßnahmen haben wir insbesondere die Lebenszykluskosten angeschaut. Und im ersten Schritt wurde alles verpflichtend eingeführt, wo die Lebenszykluskosten entweder neutral oder im besten Fall positiv sind. Weitere Maßnahmen, wo die Lebenszykluskosten negativ sind, wurden im ersten Schritt erstmal optional eingeführt, d.h. da können sich die einzelnen Organisationen und Unternehmen aussuchen, ob sie das so implementieren.
Wir haben übergreifend – für mehr als 50 Organisationen – einen „green procurement“-Rat eingeführt.
Und dann musste die ganze „Governance“ aufgesetzt werden, also eine Steuerungs- und Regelungswerk, denn diese ganz unterschiedlichen Organisationen hatten unterschiedliche Einkaufsprozesse. Wir haben übergreifend – für mehr als 50 Organisationen – einen „green procurement“-Rat eingeführt. Jede Organisation muss jetzt regelmäßig entlang der Maßnahmenkriterien berichten, welcher Prozentsatz vom Einkauf jetzt grün ist und inwiefern es Hindernisse gibt oder Schwierigkeiten. Sie müssen z.B. auch berichten, inwiefern denn die Einkäufer*innen entsprechend geschult sind. Wir haben pro Organisation einen „green procurement Champion“ ernannt und diesen entsprechend aus-/ und weitergebildet und diese Person ist dann wiederum verantwortlich, das in der Organisation selber voranzutreiben und die Mitarbeiter*innen zu schulen und die Prozesse entsprechend anzupassen. Das war sehr viel Arbeit, diese ganze Governance und die Prozesse anzupassen, damit das dann auch wirklich implementiert wird, aber das ist im ersten Schritt alles machbar. Was jetzt schwierig wird, ist Maßnahmen, die negative Lebenszykluskosten haben, auch verpflichtend einzuführen. Das wird sicher schwierig, weil da von der Führungsebene sicher weniger Rückhalt da ist.
Beispiele für positive Lebenszykluskosten sind zum Beispiel Elektrofahrzeuge, energieeffiziente Klimaanlagen oder bessere Wärmedämmung, das war kein Problem. Was schwieriger war, waren Themen ohne Energieeinsparungen: Nachhaltige Teppiche zum Beispiel, da sind die Anschaffungspreise höher und kostentechnisch macht es zunächst einmal keinen Sinn – auch wenn es besser für die Gesundheit und die Umwelt ist. Oder beim Thema Reinigung: Wasserarm ist kein Problem, aber grüne Reinigungsmittel zu verwenden, ist viel teurer. Beim Thema Catering ist es ähnlich: Vegetarisches oder veganes Catering für Regierungsevents ist (noch) viel teurer. Also das waren schwierige Themen, aber es ist auch schon viel in Bewegung.
Vielen Dank für die spannenden Einblicke, Frau Riehle-Hussain.
Das Interview führten Ina Reinders, Vorsitzende des CSM-Alumni e.V., und Anna Michalski, Centre for Sustainability Management (CSM) der Leuphana Universität Lüneburg.
Über den MBA Sustainability Management Master-Thesis-Award
Der Master-Thesis-Award wird jährlich vom CSM-Alumni e.V. für herausragende und besonders innovative und/oder praktisch relevante Masterarbeiten vergeben. In diesem Jahr wurden gleich zwei Absolventinnen ausgezeichnet:
- Nina Riehle-Hussain für ihre Arbeit zum Thema „Chancen und Hemmnisse bei der Einführung einer umweltfreundlichen öffentlichen Beschaffung in der Golfregion – Anhand des Beispiels der Regierung von Ras al Khaimah“, begutachtet durch Prof. Dr. Raymond Saner und Prof. Dr. Annika Martens.
- Marie-Sophie Wilde für ihre Masterarbeit „Risikobasierter Ansatz zur Bewertung von Produktionsstandorten mit Wasserrisiken – Wasserrisiko-Analyse für die chemische Industrie am Beispiel der LANXESS AG“, begutachtet durch Dr. Charlotte Hesselbarth und Dr. Thomas Pelster. Zum Interview mit Marie-Sophie Wilde
Links zum Weiterlesen:
Ras al Khaimah Energy Efficiency & Renewables Strategy – Annual Reports
CSM-Alumni e.V.
Bild: © PwC Deutschland