Forschung und Projekte am CSM, Nachhaltige Neuigkeiten

Erik Hansen: Realweltlabor am Beispiel Innovationsverbund Nachhaltige Smartphones (INaS)

Heute führen wir ein Interview mit Professor Erik Hansen. Er hat zusammen mit Professor Stefan Schaltegger den Innovationsverbund Nachhaltige Smartphones (INaS) gegründet – eine wegweisende Initiative, die am Centre for Sustainability Management (CSM) entstanden ist. Der Innovationsverbund wurde in Anlehnung an Realweltlabore konzipiert und durchgeführt.

Professor Hansen, könnten Sie sich bitte kurz vorstellen?

Ja, natürlich. Ich bin Wirtschaftswissenschaftler mit dem Forschungsschwerpunkt an der Schnittstelle von Innovation und Kreislaufwirtschaft. Promoviert habe ich in klassischer Betriebswirtschaftslehre an der TU München, doch schon damals hatte ich einen Fokus auf Nachhaltigkeitsthemen. So habe ich dann in Folge eine Habilitations-Stelle am Centre for Sustainability Management (CSM) unter der Leitung von Professor Schaltegger angenommen. In dieser Zeit beschäftigte ich mich intensiv mit nachhaltigkeitsorientiertem Innovationsmanagement, insbesondere mit Bezug zum regionalen Mittelstand. Von 2013 bis 2015 habe ich dann eine von der EU geförderte, befristete Professur zum Management der Energiewende im Lüneburger Innovationsinkubator angenommen, in dessen Kontext auch die Realweltlabor-Forschung entstand. Danach bekam ich den Ruf zur Johannes Kepler Universität, der an die Gründung des Institute for Integrated Quality Design (IQD) gekoppelt war. Da der Produktlebensweg in meiner Forschung zur Nachhaltigkeitsinnovation eine immer wichtigere Rolle spielte, ging ich in der Gründungsmission des Instituts noch einen Schritt weiter und fokussierte zur Gänze auf Innovationen in der Circular Economy.

Wie ist der „Innovationsverbund Nachhaltige Smartphones“ entstanden? Wie passt es in ihr Themengebiet?

Der INaS entstand als Antwort auf die wachsenden Herausforderungen im Bereich der Nachhaltigkeit von elektronischen Geräten … ein Thema hoher gesellschaftlicher Relevanz. Um diesem zu begegnen wurden verschiedene Förderprogramme aufgesetzt, u.a. vom Land Niedersachsen. Stefan Schaltegger wurde eingeladen, sich mit dem CSM an einem Projektantrag „Open Innovation“ im Kontext Elektronik mit ineinandergreifenden forschungs- und transferorientierten Arbeitspaketen zu beteiligen. Er nahm mich dann mit an Bord, um die Transferanforderung beziehungsweise „Pilotierung“ zu verantworten.

Vor dem Hintergrund meines Interesses am Produktlebensweg sowie der umfassenden bestehenden Erfahrungen am CSM zur Moderation diverser Unternehmens- und Stakeholder-Netzwerke, entwickelte ich dann die spezifische Idee des „produktlebensweg-orientierten“ Innovationsverbunds: d.h., wie bringt man Akteure des gesamten Produkt-Dienstleistungssystem – inklusive Materialienbeschaffung, Herstellung, Services in der Nutzungsphase, Rücknahme und Recycling – zusammen, um nachhaltigere Lösungen für Elektrogeräte gemeinsam zu entwickeln? Der Innovationsverbund Nachhaltige Smartphones (INaS) war somit ein ambitioniertes Projekt, das darauf abzielte, Nachhaltigkeitsaspekte entlang des gesamten Lebenswegs von Smartphones im Sinne der Kreislaufwirtschaft – Reparatur, Wiederverwendung, Wiederaufbereitung, Recycling – zu betrachten. Das Projekt umfasste dabei sowohl technologische als auch soziale Innovationen, um die Nachhaltigkeit von Smartphones zu verbessern. Gemeinsam mit verschiedenen Partnern aus Industrie, Forschung und Zivilgesellschaft war unser Ziel, die Idee des Wertschöpfungskreislaufs von Smartphones bei den Akteuren zu verankern und so eine positive Veränderung in der Branche zu bewirken. Über die Jahre entstand daraus ein umfassendes Forschungsprogramm und Praxistransfer. Diese erfolgreiche Verbindung aus Forschung und Veränderung in der Praxis gelang uns nur aufgrund des Realweltlabor-Charakters.

Durch die öffentliche Förderung mit signifikanten personellen und finanziellen Ressourcen war es uns letztendlich möglich, diesen durchaus aufwändigen Innovationsverbund mit Leben zu füllen.

Was verstehen Sie denn genau unter einem Realweltlabor?

Ich verstehe Realweltlabore, „Living Labs“, im weiteren Sinne als ein soziales Geschehen, als ein Ort, an dem man über einen längeren Zeitraum mit Akteuren aus verschiedenen Wertschöpfungsstufen und Sektoren zusammenkommt, die alle Teil des Nachhaltigkeitsproblems oder auch der Lösung sind bzw. sein können. Ziel ist es, diese unterschiedlichen Perspektiven über ausgewählte transdisziplinäre Prozesse und Methoden auszutauschen. Da spielt dann auch eine möglichst neutrale Moderation mit rein, die man natürlich braucht, damit dieser Austausch stattfindet, damit man nicht nur Perspektiven austauscht, sondern auch gemeinsam an Lösungen arbeitet und im besten Fall diese in der Unternehmensrealität umsetzt.

Das tradierte Konzept legt besonderen Wert auf die Einbindung von Nutzern bzw. Konsumenten, mit denen neue Lösungen im Realwelt-Kontext ausprobiert werden. In unserem modifizierten Ansatz dagegen, haben wir Nutzer eher indirekt über Methoden des Design-Thinking bzw. der sogenannten „Personas“ in die Lösungsentwicklung einbezogen und die Erprobung erfolgte seitens der teilnehmenden Unternehmensvertreter dezentral mit ihren jeweiligen Kunden.

Warum haben Sie ein Realweltlabor im Rahmen des Projekts eingesetzt?

Die zentrale Zielsetzung des Arbeitspakets „Pilotierung“ im Rahmen der Erstförderung war das Experimentieren mit Methoden für offene Innovationsprozesse. Ein Realweltlabor erschien uns hilfreich zu sein, um nicht nur Dinge auszuprobieren, sondern tatsächliche Veränderungsprozesse loszutreten. Ein Realweltlabor ermöglicht es, nicht nur über Ideen zu diskutieren, sondern Umsetzungspartnerschaften zu initiieren, um diese unter Einbeziehung relevanter Akteure aus dem Wertschöpfungskreislauf zu testen und deren Wirksamkeit zu überprüfen. Wir konnten so wertvolle Informationen darüber sammeln was in der Praxis funktioniert und was nicht.

Einige Ideen beziehungsweise „Prototypen“ die wir im Labor gemeinsam konzipiert haben, wurden tatsächlich im weiteren Verlauf von findigen Unternehmern umgesetzt und deren Umsetzungserfahrung wieder zurück in das Labor gespielt. Beispielsweise wurde so der erste Handy-Gerätepfand beim Neukauf von dem jungen hessischen Smartphone Hersteller ShiftPhones kommerzialisiert. Heute bekommen Kunden also bei der Geräte-Rückgabe ihren Pfand von ShiftPhones zurück. Das Unternehmen sichert sich damit eine höhere „Wert-Schätzung“ des Altgeräts und einen gesteigerten Geräterückfluss. Ein teilnehmender Mobiltelefonie-Anbieter hat im Zeitraum des Innovationverbunds mit wesentlichen Erweiterungen im Bereich des Geräteverkaufs (z.B. Einlistung Fairphone) und der zirkulären Dienstleistungen (z.B. Haustür-Reparaturservice) experimentiert. 

Der Einsatz des Realweltlabors hat auch für uns als Forschungsinstitut die Chance eröffnet, vertiefende Forschung bei den teilnehmenden Unternehmen durchzuführen. Durch das aufgebaute Vertrauen und die etablierten Beziehungen waren die Unternehmen bereit, weitere gemeinsame Projekte und Studien zu explorieren. Das Realweltlabor fungierte somit nicht nur als Instrument für das aktuelle Projekt, sondern schuf auch eine Plattform für langfristige Kooperationen und anschließende Forschungsaktivitäten im Sinne des „Engaged Scholarship“.

Was sind die Erfolgsfaktoren für gelungene Realweltlabore?

Der Erfolg von Realweltlaboren wird durch mindestens fünf zentrale Faktoren beeinflusst:

Zunächst sind, wie in jedem Projekt, natürlich ausreichend Finanzmittel nötig. Dies ist die Basis für eine ausreichende Personalausstattung, insbesondere auch der Projektleiter, denen mein besonderer Dank gilt. Ursula Weber hat in der Anschubphase das Projekt geleitet und später an Ferdinand Revellio übergeben, der den Projektkontext zugleich für eine erfolgreiche Promotion nutzte. Er hat dann auch maßgeblich die Gewinnung der Anschlussförderung seitens des Bundesministeriums für Forschung und die damit verbundene Weiterentwicklung betrieben und so ist, mit insgesamt sieben Jahren, eine langfristige Initiative entstanden.

Zweitens benötigt es eine informierte Auswahl der Akteure beziehungsweise Teilnehmer. Dies ist entscheidend: sind alle relevanten Akteursgruppen des bestehenden Systems und von möglichen Lösungsansätzen beteiligt? Eine gezielte Auswahl von relevanten Interessengruppen ermöglicht einen breiten Perspektivenmix und fördert kreative Lösungsansätze. Können Innovationstreiber gewonnen und vielleicht auch „Bremser“ herausgehalten werden? Wieviel Wettbewerb aus relevanten Märkten holt man sich in einen solchen Innovationsverbund hinein? Es muss nicht jeder wirtschaftliche Akteur dabei sein, da es sonst vergleichbar mit einem Industrieverband auch schnell zu Konkurrenzdenken oder dem Problem des kleinsten gemeinsamen Nenners kommen kann.

Drittens benötigt es eine kompetente Moderation und Lenkung des Prozesses. Dazu gehören mehrere Faktoren. Insbesondere ist der neutrale Charakter der Moderation, hier die Universität, wichtig, um Interessenskonflikte zu vermeiden und das Vertrauen der Akteure zu gewinnen. Aber es geht auch darum, den richtigen Mix an Prozessmethoden einzusetzen. In der Lernwissenschaft prägte der Amerikaner Benjamin Bloom die Lernarten: kognitiv, emotional und psychomotorisch („das Tun“). Ich halte den Realwelt-Labor-Ansatz für außerordentlich gut geeignet, um diese kognitiven, emotionalen und psychomotorischen Ansätze im Sinne einer ganzheitlichen Erfahrung zu vereinen und damit das Potential der Teilnehmer als Change Agents aufzuschließen. Hierzu haben wir auch externe Prozess-Coaches, insbesondere unsere Design-Thinking Expertin, hinzugezogen. Nicht zuletzt muss die Moderation eine gute Storyline sicherstellen. Der Themen-Fokus, und damit verbunden eine ansprechende und überzeugende Themenreise, muss entwickelt werden, um einen Buy-In seitens der Teilnehmer zu erzeugen und auch effektiv im Kollektiv arbeiten zu können.

Viertens benötigt es den richtigen Ort für ein Realweltlabor. Er muss Kreativität fördern und genügend visionär sein. Und er muss natürlich auch den spezifischen Anforderungen des Projekts entsprechen und eine effektive Zusammenarbeit sowie den Zugang zu relevanten Ressourcen ermöglichen. Das CSM an der Leuphana ist ein solcher Ort.

Als letzter, aber zugleich wichtigster Aspekt, ist die Zeitdimension zu nennen. Realweltlabore sind langfristige Prozesse, die durchaus mehrere Jahre dauern können. Dieser längere Zeithorizont ermöglicht es, die individuellen Teilnehmer persönlich zu begeistern, zur Zusammenarbeit an hochkomplexen, systemischen Herausforderungen zu gewinnen und dann in Folge auch nachhaltige Veränderungen in ihren jeweiligen Heimat-Organisationen zu erreichen.

Wie war ihre Zeit am CSM?

Das war eine einzigartige Zeit, in der ich einen wesentlichen Teil des Fundaments für meine akademische Karriere entwickelt habe. Das CSM ist ein Leuchtturm mit hoher Reputation, die über die Jahrzehnte unter Leitung von Stefan Schaltegger aufgebaut wurde. Dies ist die Basis, um sowohl Forschungsförderung als auch großartige Unternehmen und Unternehmer für Projekte gewinnen zu können. Unser Projekt zum Innovationsverbund war für mich dann eine wunderbare Gelegenheit, auf bestehenden Erfahrungen basierend, neue Dinge auszuprobieren. Es ist viel Herzblut und Arbeit von allen Beteiligten im Team eingeflossen. Für mich war das ein wirkliches Meisterstück. Ich bin wirklich ein großer Fan davon geworden, Menschen in solchen sozialen Prozessen für Nachhaltigkeitstransformationen zusammenzubringen.